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KI in Unternehmen: Zwischen Innovationsdruck und Realitätsverweigerung

  • Autorenbild: Nicole Gerecht
    Nicole Gerecht
  • 22. Juli
  • 3 Min. Lesezeit

Die deutsche Industrie erkennt das Potenzial von Künstlicher Intelligenz – und zögert trotzdem. Eine paradoxe Mischung aus Aufbruchstimmung, Angststarre und Governance-Lücken zieht sich durch die neuesten Bitkom-Erhebungen. Was fehlt, ist nicht Technologie. Was fehlt, ist Mut. Und Struktur.


1. Der Wille ist da, aber das Handeln hinkt hinterher


Laut Bitkom (2024) halten 73 % der Befragten KI für entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. Klingt nach Aufbruch? Vielleicht.

Denn gleichzeitig glauben 26 %, dass KI nur ein Hype ist. Und fast jede:r Zweite (46 %) meint, "Generative KI sieht spektakulär aus, bringt aber im Unternehmen nur wenig Nutzen". Willkommen in der schizophrenen Realität der Transformationsvermeidung.


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2. Generative KI? Viele Unternehmen winken noch ab


Eine Bitkom-Erhebung aus 2024 zeigt: Nur 9 % der Unternehmen nutzen generative KI bereits produktiv. 18 % planen immerhin den Einsatz. Der Rest?


  • 19 % könnten es sich grundsätzlich vorstellen, tun aber nichts.

  • 28 % haben sich noch nicht einmal damit beschäftigt.

  • 23 % können es sich nicht einmal vorstellen.


Das ist keine Vorsicht, das ist Verweigerung. Während international generative KI längst neue Geschäftsmodelle ermöglicht, diskutieren viele hierzulande noch über Datenschutz und Legacy-Systeme.


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3. Was Unternehmen wirklich brauchen: Vier Basics für KI-Nutzung


Ein erfolgreicher KI-Einsatz braucht nicht nur Tools, sondern vier zentrale Voraussetzungen:

  1. KI-Know-how & Governance-Kompetenz: ohne Wissen über Machine Learning und gesetzliche Vorgaben (z. B. EU AI Act, DSGVO) geht nichts.

  2. Relevante Daten: aus Produktion, Beschaffung, Vertrieb, Umwelt. Wer keine Daten generiert oder verfügbar macht, hat schon verloren.

  3. Rechen- & Speicherkapazität: insbesondere für Echtzeitanalysen und Deep-Learning-Modelle.

  4. Breitbandinfrastruktur: ja, immer noch. Edge-Geräte & Cloud funktionieren nicht mit DSL 16.000.



4. KI-Teams brauchen Mandat, Budget und Schutz vor Sand im Getriebe


Prof. Dr. Ralf Kreutzer, Professor für Marketing an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und einer der profiliertesten deutschen Experten für digitale Transformation, betont in einer meiner MBA-Lectures zur strategischen Rolle von KI:

„KI-Strategie ist kein Add-on – sie ist die neue Geschäftsstrategie.“

Diese Aussage bringt die Tragweite auf den Punkt und trifft gleichzeitig einen wunden Punkt in vielen Unternehmen: Dort wird KI noch immer als Tech-Experiment behandelt, das „irgendwo im Team“ läuft, statt als integraler Bestandteil der Unternehmensentwicklung.

Ein unternehmensinternes KI-Team braucht deshalb mehr als ein paar Laptops und Ideen. Es braucht:


  • Klare Zielvorgaben & strategische Rückendeckung: nicht als Lippenbekenntnis, sondern als gelebtes Mandat

  • Divers besetzte Rollen, denn Data Scientists allein lösen keine Produktprobleme

  • Iterative Pilotierung mit sauberen Feedback-Loops, kein Wasserfall, keine Vision ohne Rückkopplung

  • Eine lernorientierte Unternehmenskultur, die kontrollierte Experimente zulässt, ohne gleich die Performance-Alarmglocke zu läuten (btw bietet sich diese Art der Unternehmenskultur grundsätzlich sehr an)


Kurz: Wer KI wirklich integrieren will, muss interne Politik, Bereichsegoismen und Perfektionismuswahn überwinden. Sonst bleibt’s bei schönen Pitches und gescheiterten Proofs-of-Concept.



5. KI-Governance: Ohne Regeln keine Wirkung


Der Aufbau wirksamer Governance-Strukturen folgt laut Bitkom sechs Schritten, darunter:

  • C-Level-Verankerung der Governance (nicht nur „Legal darf später mal drüber schauen“)

  • Festlegung von Risikobereitschaft & Prinzipien (Transparenz, Fairness, Datenschutz)

  • Klare Zuständigkeiten & Eskalationspfade

  • Monitoring, Bias-Tests & Datenqualitätsmanagement

  • Dokumentation über den gesamten KI-Lebenszyklus hinweg


Das klingt komplex? Ja, aber auch nach der einzigen Möglichkeit, vertrauenswürdige, skalierbare KI-Anwendungen im Unternehmen zu etablieren.


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6. Von Pilot zu Potenzial: Die KI-Journey ist keine lineare Reise


Ein gutes Transformationsmodell beinhaltet im Kern: KI wird nicht einfach „eingeführt“. Sie wird verankert, integriert, entwickelt und skaliert:


  • Zuerst werden Grundlagen wie Use Cases, Governance und Teamstrukturen geschaffen.

  • Dann folgen Piloten, Integration in Prozesse und Produkte.

  • Erst am Ende steht eine umfassende Geschäftsmodellentwicklung auf KI-Basis.


Der kritische Punkt? Viele Unternehmen bleiben in Stufe 1 oder 2 stecken oder springen direkt zu "Stufe 4", ohne Fundament. Ein hausgemachtes Risiko.



7. Wo steht Ihr Unternehmen?


Gartner unterscheidet drei KI-Reifegrade:


  • Productivity pursuers: KI zur Prozessautomatisierung, aber keine strategische Nutzung.

  • Not in front of customers: KI intern, Kund:innennutzen? Noch keine Vision.

  • AI first/everywhere: KI ist Teil des Produkts, des Geschäftsmodells und der Haltung.


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Die zentrale Frage ist also nicht: „Wo können wir KI einsetzen?“ Sondern:

„Was würde unser Geschäft werden, wenn wir KI heute aus dem Denken heraus neu bauen müssten?“



Fazit: Die deutsche Industrie erkennt das Potenzial von KI und verzögert ihren Einsatz trotzdem aus strukturellen, kulturellen und strategischen Gründen. Wer jetzt nicht beginnt, Governance, Datenstrategie und echte Use Cases zusammenzudenken, wird vom Innovationstempo anderer überrollt.

KI-Strategie ist kein Add-on, sie ist die neue Geschäftsstrategie.




Bitkom. (2024, 16. Oktober). ChatGPT & Co: Mehrheit der Unternehmen zögert bei generativer KI – Umfrage unter 602 Unternehmen [PDF]. https://www.bitkom.org/sites/main/files/2024-10/241016-bitkom-charts-ki.pdf (Zugriff am 22. Juli 2025)


Gartner. (2024). Map your AI use cases by opportunity & ready the IT team to drive success [Scribd-Dokument]. https://de.scribd.com/document/715739723/map-your-ai-use-cases-by-opportunity-ready-the-it-team-to-drive-success (Zugriff am 22. Juli 2025)


Interessanter, weiterführender Link:


 
 
 

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