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Friedhöflichkeit: Wenn Harmonie wichtiger wird als Wahrheit

  • Autorenbild: Nicole Gerecht
    Nicole Gerecht
  • 18. Juni
  • 2 Min. Lesezeit

Die Stimmung ist gut. Zu gut.


Meetings verlaufen ruhig.

Niemand widerspricht.

Entscheidungen fallen leise oder gefühlt gar nicht.

Alle sind kollegial, freundlich, verständnisvoll.

Und dennoch: Irgendwas fühlt sich falsch an.

Willkommen in der Friedhöflichkeit, einem Phänomen, das auf den ersten Blick nach funktionierender Kultur aussieht, aber in Wahrheit Richtungslosigkeit und Unsicherheit kaschiert.


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Fried-was?


Friedhöflichkeit ist eine Wortschöpfung: eine Mischung aus Friedhof und Höflichkeit.

Sie beschreibt den Moment, in dem Unternehmen äußerlich ruhig und freundlich wirken, aber innerlich nichts mehr passiert. Weil niemand anecken will. Weil Konflikte unter dem Teppich landen. Weil Reibung als Risiko gilt und nicht als notwendiger Reiz.

Und weil man sich daran gewöhnt hat, Dinge lieber im Flur zu besprechen als im Plenum.


Was so kultiviert daherkommt, ist in Wahrheit: Organisatorisches Sedativ.


Die Konsequenz:

  • Entscheidungen werden weichgespült

  • Spannungen versanden

  • Innovation bleibt aus, aus Rücksicht.



Studienlage: Psychologische Sicherheit ≠ Harmonie


📊 Googles Projekt Aristotle zeigt: Psychologische Sicherheit ist der wichtigste Faktor für Teamleistung. Aber das bedeutet nicht, dass alle sich immer einig sind. Es bedeutet: Man kann widersprechen, hinterfragen, Spannung erzeugen, ohne Angst vor Gesichtsverlust.


📚 Das MIT Sloan Management Review ergänzt: Teams, die gezielt mit Spannung arbeiten, treffen bessere und schnellere Entscheidungen. Was sie brauchen, ist kein Friede, sondern ein sicherer Rahmen für produktive Reibung.




Friedhöflichkeit ist keine Kultur. Sie ist Vermeidung.


Die typischen Symptome:


  • Entscheidungen werden durch Konsens verwässert

  • Kritik äußert sich passiv-aggressiv oder gar nicht

  • Spannungen werden personalisiert statt bearbeitet

  • Konflikte erscheinen „unangemessen“, nicht, weil sie es sind, sondern weil sie stören


Friedhöflichkeit lähmt. Sie erstickt Widerspruch im Mantel der Rücksicht. Und sie macht Organisationen träge, selbst wenn sie voller kluger Menschen sind.


Was hilft: Reibung strukturieren, statt sie zu unterdrücken


Produktive Spannung braucht:


  1. Klar definierte Rollen und Zuständigkeiten

    → Nur wenn klar ist, wer wofür steht, kann Reibung sachlich ausgetragen werden.

  2. Explizite Entscheidungslogik

    → Wer muss wirklich zustimmen und wo reicht ein gut informierter Alleingang?

  3. Sprachfähigkeit für Spannungen

    → Teams müssen lernen, nicht nur Aufgaben zu klären, sondern auch das Unausgesprochene.

  4. Strukturen, die Konflikt als Ressource sehen

    → Keine Harmonie-Filter, sondern Räume für echte Auseinandersetzung – gut gerahmt.


Was ich mitbringe


Ich arbeite dort, wo Spannung gebraucht wird, aber fehlt.

Wo Teams alles richtig machen und trotzdem nichts vorangeht.

Wo Meetings ruhig sind, aber niemand rausgeht mit einem klaren „Warum“.

Ich stelle die unbequemen Fragen.

Ich mache Strukturen sichtbar, die Konflikt unmöglich machen.

Und ich sorge dafür, dass Organisationen wieder sprechen, nicht nur nicken.


Fazit


Friedhöflichkeit ist gefährlich.

Sie sieht freundlich aus, aber sie bedeutet oft: Hier ist nichts mehr so richtig lebendig.

Wer echte Zusammenarbeit will, muss mit Spannung umgehen können.

Nicht laut. Nicht destruktiv. Aber klar, ehrlich und mit Haltung.

Wenn du spürst, dass bei euch im Team viel gesagt, aber wenig gemeint wird:

Dann ist es vielleicht Zeit, vom Friedhof zurück ins Leben zu gehen.

 
 
 

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